#ZukunftLernen: Warum es wichtig ist, neue Lern- und Lehrräume zu schaffen

Lesezeit: 4 Minuten

Ein Beitrag von Ottmar Misoph, Schulleiter a.D. der Grund- und Mittelschule Thalmässing, Bayern

Unsere schnelllebige Industriegesellschaft ist geprägt vom raschen technologischen Fortschritt. Dieser wird von uns als selbstverständlich wahr- und hingenommen. Wir erwarten, dass sich die Technik unserer Smartphones von Modell zu Modell immer mehr verbessert. Wir sind es gewohnt, dass sich die Arbeitsplätze der Erwachsenen im Lauf der Zeit den veränderten Anforderungen anpassen, dass neue Arbeits- und Kommunikationsformen zur täglichen Routine werden.

Doch wie sieht der Arbeitsplatz Schule für unsere Kinder und Jugendlichen aus?

Es sind meist Klassenzimmer mit traditionellen Doppeltischen, in Busordnung frontal nach vorne ausgerichtet, Blickrichtung zur zentralen Pylonentafel, vor der der Lehrer oder die Lehrerin agiert.

Dass sich Schulräume zwischen 1960 und 2021 gar nicht oder nur unwesentlich verändert haben, scheint kaum jemanden zu irritieren. Veränderungen gesteht man dem privaten und beruflichen Alltag zu, ja man erwartet ihn sogar. Beim Thema Schulen ist man eher skeptisch, wehrt sich gegen Veränderungen, hält an scheinbar Bewährtem fest.

Das plötzlich notwendige Homeschooling in den vergangenen Monaten während der Pandemie hat alle Beteiligten vor gewaltige Herausforderungen gestellt und kann in keinem Fall einen guten Präsenzunterricht ersetzen.
Aber: Die Mängel wurden dort besonders schmerzlich sicht- und spürbar, wo Schulen sich in den vergangenen Jahren gegen Veränderungen im Bereich Unterrichts- und Schulentwicklung gesperrt haben.

Warum es wichtig ist, neue Lern- und Lehrräume zu schaffen

Schulen müssen die Kinder und Jugendlichen auf eine sich laufend verändernde Gesellschaft und Arbeitswelt mit neuen Technologien und die sich daraus ergebenden Erwartungen an die kognitiven und sozialen Kompetenzen der Menschen verantwortungsvoll und umfassend vorbereiten. Somit bekommen selbstständiges Arbeiten und Lernen, eigenaktives Tun, kooperative Arbeitsformen, Eigenverantwortung, Zusammenarbeit mit Menschen unterschiedlicher Herkunft, Begabungen und Handicaps, Freude am Entdecken und Lernen eine neue, wichtigere Bedeutung innerhalb der schulischen Arbeit.

Wir Erwachsene suchen uns für die jeweilige Arbeit möglichst den passenden Arbeitsplatz: Ein Buch oder die Tageszeitung lesen, einen Brief schreiben, ein Formular ausfüllen, die Unterlagen für die Steuererklärung zusammenstellen – all das geschieht an verschiedenen Plätzen. Unseren Schülerinnen und Schülern gestehen wir diese individuelle, an die Anforderungen der jeweiligen Arbeit angepasste Wahl nicht zu.

Wir setzen sie um 8 Uhr morgens in einem oftmals zu kleinem Klassenzimmer an einen der festen Zweiertische, eventuell neben einen zufälligen Mitschüler. Wir erwarten, dass der Schüler und die Schülerin dort hoch konzentriert und möglichst durchgängig motiviert bis 13 Uhr all die verschiedenen Arbeiten erledigt, die wir ihnen aufgeben.

Das macht die überwiegende Mehrzahl der Lehrkräfte an allen Schularten jeden Tag, ein Dienstleben lang.
Und nur wenige denken darüber nach, wundern sich darüber und stellen das traditionelle, gewohnte – deswegen aber ja nicht zwangsläufig sinnvolle – System in Frage.

Wenn wir ein konzentriertes, motiviertes und selbstständiges Arbeiten und Lernen über den Schulvormittag hinweg erwarten, wenn wir im Hinblick auf die Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern die Belastungen reduzieren wollen, müssen wir Lernatmosphären schaffen, die all das leichter gelingen lassen.

Neue Formen verändern das Schulklima positiv

Wenn man offenen Lern- und Unterrichtsformen Raum gibt, wenn man Lernräume radikal aufmacht und auf das gesamte Schulhaus ausdehnt, wenn die Klassenzimmertüren durchgängig offenstehen, dann steht dahinter eine bestimmte Vision von Schule: Eine, deren Ziel eine veränderte, eine andere Schule ist.
Eine offene Schule beginnt im Kopf der Schulleitung und des Kollegiums. Sie rückt Anderssein, individuelles Lernen, Verantwortung für das eigene Lernen und das des anderen, Selbstständigkeit, Eigenaktivität und gegenseitige Wertschätzung in den Mittelpunkt ihrer Arbeit.

So eine Schule verlangt nach einem reflektierten Berufsverständnis der Lehrkräfte und gibt der Sicht auf Eltern, Schülerinnen und Schülern eine neue Bedeutung. Das positive Klima, die gegenseitige Wertschätzung von Schülerinnen und Schülern untereinander und die zwischen Schüler- und Lehrerschaft, die Normalität und Selbstverständlichkeit von Inklusion wird entscheidend durch die Öffnung der Räume und deren individuellen und differenzierten Nutzungsmöglichkeiten erzeugt. Denn dort, wo alle Lehrkräfte für alle Schülerinnen und Schüler verantwortlich und Ansprechpersonen sind, wo sich Lernende unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Kompetenzen und unterschiedlicher Handicaps begegnen, wo im eigenen Tempo gelernt werden kann, wo nicht jeder zur gleichen Zeit das Gleiche machen muss – dort bleibt Raum für ein positives, offenes und wertschätzendes Miteinander.

So schafft man Raum für eigenes Gelingen, für Erfolgserlebnisse und Stärkung des Selbstvertrauens. Die Öffnung des Unterrichts führt notwendigerweise zu einer Öffnung der Räume – und umgekehrt.

Lesen Sie jetzt weiter: Wie der Weg zum selbstständigen Lernen gelingen kann in unserem neuen Kompendium #ZukunftLernen, Folge 2: ZukunftLernen in neuen Lehrräumen.
Ottmar Misoph
Ottmar Misoph

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